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Exploring Digital Future. Together.
22.04.2022

Mensch & Marke: Ein Modell in mehreren Skizzen

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Noch ne Portion Senf?

Was ist es, das eine Marke ausmacht? Und wie wirkt sie auf Menschen? Auf diese Fragen gibt bestimmt so viele Antworten wie es Brand-Spezialist:innen auf diesem Planeten gibt. Braucht es also wirklich noch eine weitere Erörterung, die ihre kleine Portion Tafelsenf in dieses reichhaltige Mostricht-Melange kippt? Vermutlich nicht. Aber wir werden sehen, ob’s am Ende vielleicht ein bisschen anders schmeckt.

Die Akteure im System

Nichts, aber auch wirklich gar nichts auf der Welt existiert isoliert. Alles ist interdependent und multidimensional, vielschichtig und deshalb vielleicht auch widersprüchlich. Mit dieser Komplexität können wir Menschen nicht so gut umgehen. Deshalb hilft es immer, die Dinge zu vereinfachen und auf ihre Essenz zu reduzieren. Kann und muss man auf jeden Fall machen; aber trotzdem sollte man den Verflechtungen der Wirklichkeit irgendwie noch, oder zumindest ein bisschen, gerecht werden.

Beginnen wir deshalb damit, die Marke im Kontext zu betrachten. Würden wir’s wie die Soziolog:innen machen, könnten wir uns jetzt dem Strukturfunktionalismus bedienen und die Gesellschaft in einzelne Funktionsbereiche unterteilen. Marken würden man da sicherlich im Teilbereich der Wirtschaft, vielleicht auch der Kultur verordnen. Aber was ist mit den Teilbereichen der Politik und des Gemeinwesens? Marken können doch auch politisch und sozial sein. Alles richtig, aber irgendwie auch nicht zielführend.

Wir merken: Marken sind schwer zu greifen, es sind mehr als nur wirtschaftliche Organisationen. Denn sie vermitteln Werte und Gefühle, symbolisieren Status und Zugehörigkeit, und so weiter. Dazu unten mehr. Sie sind nah am Mensch, kommunizieren menschlich aber sind natürlich trotzdem kein Mensch (thank you, captain obvious). Marken agieren also irgendwie auf einer Meso-Ebene. Meso, das ist zwischen Mikro (Menschen) und Makro (Organisationen, Gesellschaft, Welt).

Seek + Find Mensch und Marke Meso-Ebene White

Die Erwartungen, die heute an Marken gestellt werden, gehen über die reine Brand-Consumer-Beziehung hinaus. Wenn Marken Haltung beziehen (sollen), etwa gegen Rassismus oder für Chancengleichheit, beteiligen sie sich an gesellschaftlichen Debatten. Wenn Marken das Thema Nachhaltigkeit nicht nur grünwaschen, sondern sich beispielsweise mit radikaler Transparenz, ökologisch(ere)n Produktionsverfahren oder CO₂-Kompensierung selbst challengen, setzen sie sich für unser aller Umwelt ein. Wir werden uns so immer bewusster: Marken haben eine Wirkungsmacht auf und in der Makro-Ebene. Aber eben natürlich auch auf und in der Mikro-Ebene. Marken sind keine Akteure, die auf wundersame Weise über Nacht aus ihrem Kokon schlüpfen und jeder weiß, um welche Art Schmetterling es sich handelt und wohin er fliegt.

Marken sind Quasi-Akteure. Sie entstehen zunächst in den Köpfen der Menschen, die sie gestalten und werden dann, in kaum bewussten Aushandlungsprozessen, zu dem gemacht, was sie sind: eine geteilte Illusion. Mit dem Corporate Design wird ihnen eine Gestalt verliehen, mit Testimonials ein Gesicht, mit Service-Mitarbeiter:innen eine Stimme. So werden Marken begreiflich - und sind doch irgendwie ungreifbar.

Die Interaktion

Greifbarer wird eine Marke in ihrem Handeln und Wirken. Klassischerweise wird die Markenwirkung einfach in einer linearen, einseitigen Beziehung zwischen Marke und Mensch betrachtet. Aber versuchen wir doch hier schon mal der Komplexität bisschen mehr Rechnung zu tragen. Und schauen wir uns verschiedene Formen der Interaktion zwischen Marke und Kund:in an.

Seek + Find Mensch und Marke Sales White

Als ökonomisch wichtigste Metriken werden oft der Umsatz oder der Return on Investment gesehen (ROI, kennste). Und genau so oft wird dies zum Glück auch kritisiert. Schließlich geben blanke Zahlen nicht ansatzweise Auskunft darüber, wie Mensch und Marke interagiert haben. Sondern eben nur, dass die Interaktion von monetärem Erfolg gekrönt war. Ka-Ching.

Seek + Find Mensch und Marke Funnel White

Ein Schritt in die richtige Richtung, ausgehend vom überholten Fokus auf den Umsatz, ist das Funnel-Denken. Der Einkaufstrichter (deutsch für Sales-Funnel, hehe) soll die Reise der Kund:innen (deutsch für Customer Journey, lol) abbilden: vom Erstkontakt einer Marke bis zum Verhalten nach einem Kauf. Hier wird zumindest schon mal anerkannt, dass unterschiedliche Markenbotschaften unterschiedlichen Einfluss auf unterschiedliche Phasen im Conversion-Prozess haben.

Aber auch hier gibt’s ein Aber: Funnel sind auch nur stark vereinfachende Schablonen, die man über die Realität legt. Jede Mensch-Marken-Interaktion ist einzigartig. Mag sein dass es möglich ist, mit Hilfe von mehreren passenden Attributionsmodellen sich der Wirklichkeit zaghaft anzunähern. Weil: je mehr Cluster an Einzelfällen man berücksichtigt, desto realistischer wird der Funnel. Aber trotzdem: von der vereinfachenden Trichter-Form ist dann wohl nichts mehr übrig. Schade Schokolade. Und so richtig Markenwirkung ist das auch noch nicht.

Seek + Find Mensch und Marke Trust White

Ein weiteres Konzept, das in aller Marketing-Munde ist, ist das Vertrauen. Positives Vertrauen gegenüber einer Marke wird vom Kunden langsam, Schritt für Schritt, Touchpoint für Touchpoint aufgebaut. Es kann aber auch schnell gebrochen werden und damit negative Konsequenzen mit sich bringen. Übrigens muss Vertrauen nicht nur bedeuten, dass Kund:innen sich darauf verlassen, dass eine Marke keine Schmuddelgeschäfte begeht; Vertrauen ist nicht nur die Abwesenheit von Abzocke, sondern vielmehr die Anwesenheit von Erwartbarkeit: Dass das Produkt oder die Dienstleistung, die ich kaufen möchte, auch den gewünschten Effekt in meinem Leben hat. Dass die Marke bei Anderen die gewünschte soziale Wirkung erzielt. Dass mein Qualitätsanspruch erfüllt wird.

Seek + Find Mensch und Marke Brand Customer Relationship White

Vielleicht kannst du es schon spüren, wir nähern uns langsam dem, was eine Marke ausmacht: Es ist die Interaktion zwischen Marke und Mensch, das Ping-Pong von Erwartungen und Erfüllungen, das kommunikative Hin und Her. Die Wechselwirkung. Das heißt: Nicht nur die Wirkung von Marke auf Mensch, sondern, auch die Rückkopplung. Ein Verhältnis, nicht geprägt von Ein-, sondern von Beidseitigkeit.

Die Beziehung

Die Beziehung zwischen Mensch und Marke ist immer einzigartig. Denn sie wird geprägt von gegenseitigen Erfahrungen und Erwartungen. So, wie halt jede Beziehung, oder?  Nicht ganz. Man kann das Mensch-Marken-Verhältnis nicht mit einer zwischenmenschlichen Beziehung vergleichen. Mensch-zu-Mensch-Beziehungen sind in den meisten Fällen synchron; auch wenn es natürlich Hierarchie-Unterschiede oder Macht-Gefälle gibt. Synchron bedeutet, dass innerhalb einer Beziehung oft die gleichen Regeln gelten, Emotionen geteilt und ähnliche (Gegen-)Werte ausgetauscht werden. Als Mensch bekommt man das eigene Verhalten in seinen Beziehungen oft gespiegelt: egal ob in einer Freundschaft oder Partnerschaft, in einer Arbeits- oder Vereinsbeziehung. So wie du mir, so ich dir.

Hierin besteht der zentrale Unterschied zur Mensch-Marken-Beziehung. In letzterer gibt es auch Wechselwirkungen; aber diese sind komplett unterschiedlich. Auf der einen Seite steht ein Mensch, auf der anderen Seite eine Marke  – ein Quasi-Akteur. Es ist ein asynchrones Verhältnis, eine schräge Brücke die sich zwischen der Meso- und der Mikro-Ebene aufspannt. Wir können als Mensch eine Marke lieben, hassen oder ihr gleichgültig gegenüberstehen. Aber zwischenmenschliche Liebe, Hass oder Gleichgültigkeit funktionieren nach einer ganz anderen Logik. Sie besitzen eine andere emotionale Qualität.

Eine Mensch-Marken-Beziehung ist nüchtern betrachtet und in erster Linie ein Tauschhandel, ein Geben und Nehmen: Gegen einen monetären Wert werden materielle Güter oder immaterielle Dienstleistungen ausgetauscht. Marke und Kund:in werden durch das Produkt oder einen Service miteinander verbunden. End of story? Mitnichten. Auch in dieser asynchronen Beziehung gibt es einen Austausch an Emotionen und anderen immateriellen Qualitäten.

Seek + Find Mensch und Marke Brand Product Customer White

Marken besitzen die Fähigkeit, Menschen allein mit einem Logo oder einer Customer Experience einen Mehrwert zu bringen. Und weil wir von Marken, und nicht nur von Produkten sprechen, geht dieser Mehrwert über das Greifbare hinaus: Marken sind Symbolik. Mit der Entscheidung für eine bestimmte Marke entscheidet sich ein:e Kund:innen auch für ein Lebensgefühl, eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Außerdem können Marken einem Menschen dabei helfen, die drei wichtigsten Grundbedürfnisse zu befriedigen: sich autonom, kompetent aber auch sozial eingebunden zu fühlen (kann man in der Self Determination Theory von Ryan und Deci nachlesen; kann man aber auch lassen). Denn mit einer Marke kaufe ich mir ein Stück von dem, was ich sein möchte. Marke ist Erwartungserfüllung und Bedürfnisbefriedigung zugleich. Und das gibt mir als Mensch wiederum Erwartbarkeit und Sicherheit. Und mehr wollen wir doch gar nicht? Vor allem in einer immer komplexer wirkenden oder werdenden Welt.

Zu einem ganzheitlich(ere)n Modell der Markenwirkung gehört aber, wie schon angekündigt, auch die andere Seite der Medaille; die Wechselwirkung von Mensch zu Marke. Denn dieser Richtung kann nicht Aufmerksamkeit genug geschenkt werden. Vor allem wenn es um die Aufgabe des Brandings und des Customer-Relationship-Managements geht. Natürlich ist der augenscheinlichste Effekt der monetäre Gegenwert, den Konsument:innen einspielen; der Umsatz, der ROI. Vielleicht auch die Anzahl der Follower oder die Größe des Newsletter-Verteilers.

Aber auch hier geht es um mehr. Es ist das oben bereits diskutierte Vertrauen, was Menschen einer Marke Schritt für Schritt entgegenbringen. Und was sich langfristig sogar zur echten Marken-Treue und Loyalität verfestigen kann. Außerdem geben Menschen einer Marke auf allen möglichen Kanälen das so essentielle Feedback. Wenn es konstruktiv und kritisch ausfällt, sollte es Grundlage für die Weiterentwicklung von der Brand oder den Angeboten werden – auch wenn diese Chance in der Realität leider viel zu oft verpasst wird.

Vergessen wir auch nicht das positive Feedback, das die Menschen, die für die Marke arbeiten, zu Großartigem motiviert. Letztlich geben Menschen Marken auch den wichtigsten, nicht-monetären Gegenwert zurück: der Ritterschlag durch zufriedene Kund:innen, die positive Mund-zu-Mund-Propaganda. Als soziale Wesen stecken wir mit anderen Menschen die Köpfe zusammen, teilen Markenerlebnisse und sprechen Empfehlungen aus. In diesen sozialen Begegnungen wird der wahre Wert und die wahre Symbolik von Marken ausgehandelt. Dies ist die Wirkungsmacht, die Marken-Strategien am wenigsten kontrollieren können. Denn es ist wie es ist: Marken sind geteilte Illusionen, deren Bedeutung wir als Menschen gemeinsam festlegen.

Schlussgedanken

Die Welt ist komplex. Und Marken helfen uns Menschen dabei, diese Komplexität zu bestreiten. Marken-Modelle wiederum versuchen, die Komplexität der Markenwirkungen einzufangen und auf digitales Papier zu bringen. Ob diese Mensch-Marken-Überlegungen nun etwas Würze in die Fragestellungen gebracht haben, kann ich als Autorin nicht beurteilen. Vielleicht schmeckt der Senf auch nicht jedem. Eines ist aber sicher: diese Gedanken und Skizzen sind unvollständig und bleiben immer erweiterbar.